Sie kandidieren im Wahlkreis von Eckhard Rehberg, einem erfahrenen Politiker, der seit 2005 im Bundestag sitzt und nicht wieder antreten wird. Und: Es ist nicht irgendein Wahlkreis, sondern der größte in Deutschland. Haben Sie ein bisschen Bammel?
Ich bin mir dessen bewusst, denn ich weiß, worauf ich mich einlasse. Die enorme Fläche ist vor allem eine Frage der Organisation und einer effizienten Terminplanung. Eckhard Rehberg ist ein Urgestein und hat vieles für die Menschen in unserer Heimat erreicht. Gerade als haushaltspolitischer Sprecher im Bundestag konnte er viel bewegen. Vor allem auch für die Menschen hier in Mecklenburg-Vorpommern.
Macht Herr Rehberg Wahlkampf für Sie? Also das, was Frau Merkel für Herrn Laschet nicht vorhat?
Eckhard Rehberg ist derzeit auf Abschiedstour. Dabei kann ich ihn begleiten. Für mich ist es sehr hilfreich, seinen Politikstil aus der Nähe verfolgen zu können. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich mit Rat und Tat unterstützt. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Wann und warum sind Sie in die CDU eingetreten?
2003, während meines Studiums. Gerhard Schröder hatte gerade die Bundestagswahl gegen Edmund Stoiber gewonnen. Das war eine schwierige Zeit, geprägt von hoher Arbeitslosigkeit. Die Hartz-IV-Reformen wurden angeschoben. Es gab harte politische Auseinandersetzungen. Ich war sehr politisiert und bin daher in die CDU eingetreten. Anfangs war ich ein einfaches Mitglied. Ab 2005 engagierte ich mich in der Jungen Union, später auch im Kreistag.
Heute kaum vorstellbar - zu der Zeit gab es keine sozialen Medien, keinen Shitstorm. Inwiefern braucht man als Politiker mehr denn je ein dickes Fell?
Ein dickes Fell und eine ausgeprägte Gelassenheit halte ich für eine Grundvoraussetzung in der Politik. Wem es in der Küche zu heiß ist, der darf kein Koch werden. Manches geht aber entschieden zu weit. Man sieht es auch in der Kommunalpolitik, wie oft gute Leute aufgeben, weil sie es nicht mehr aushalten können.
Woher nehmen Sie die Stärke?
Vielleicht ist es ein Stückweit die Konstitution. Und ich hatte ich viel Zeit zum Trainieren. In den vergangenen 15 Jahren bin ich in der Kommunalpolitik immer aktiver geworden. Zum Glück war ich bisher keinem Shitstorm und keinen üblen Beschimpfungen ausgesetzt. Die Schärfe im persönlichen Kontakt, wie wir sie teilweise in anderen Bundesländern erleben, haben wir hier Gottseidank nicht.
Welche Erklärung haben Sie für die Schärfe? Woher kommt der Frust?
Die Frustration, die sich vor allem in Ostdeutschland Bahn bricht, hat viel mit den Erfahrungen nach der Wende zu tun. Wer es selbst nicht miterlebt hat, kann sich kaum vorstellen, was für viele Menschen seinerzeit weggebrochen ist. Alles. Nicht nur die Arbeit, sondern all das, woran man einmal geglaubt hat, was das Lebensumfeld ausgemacht hat. Der Job ging verloren, die Freunde zogen weg. Ich glaube, das wirkt bis heute fort. Auch erleben wir zunehmend eine Fragmentierung der Gesellschaft, die Identität mit dem Ganzen ist zurückgegangen.
Teilen Sie die Kritik vom Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz, dass ein Teil der Ostdeutschen für die Demokratie verloren sei?
Ich halte die These für falsch und gewagt. Schon allein deswegen: Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt hat die AfD bei den 18 und 29 Jährigen den höchsten Zuspruch gehabt. Nicht bei älteren Wählern, sondern bei jungen Leuten, die in der Demokratie aufgewachsen sind. Denen kann man nicht vorwerfen, dass sie diktatursozialisiert sind. Damit macht man es sich zu leicht.
Wir erleben es nach Wahlen, wenn Linkspartei oder jetzt die AfD im Osten gute Ergebnisse einfahren. Dann folgt ein reflexartig ein Ossi-Bashing. Lernt endlich Demokratie! Was sagen Sie dazu?
Das ist mir zu holzschnittartig. Das hat sicherlich mit Vorurteilen zu tun, die man so bestätigt sieht. Auch zeigen solche Kommentare, dass viele keine Ahnung vom Leben hier haben. Wenn ich in überregionalen Blättern immer mal wieder eine Reportage über Ostdeutschland lese, ist es oft so, dass jemand aus Hamburg für drei Tage zum Gruseln nach Anklam oder Torgelow fährt. Darüber schreibt er dann. Oder besuchen Sie mal eine WG-Party in Berlin, Leute in meinem Alter. Was meinen Sie, was Sie sich da bei einem Glas Rotwein über DEN Osten anhören können …
Politik erscheint vielen komplexer denn je. Wie wollen Sie die Menschen erreichen?
Wichtig finde ich klare, verständliche und plausible Botschaften. Die Sprache der Menschen sprechen. Dazu gehört echte Bürgernähe. Wahlkreisarbeit heißt, das hat Eckhard Rehberg immer gemacht, zu den Leuten hingehen. Dinge direkt besprechen. Miteinander reden, gut zuhören und dann entscheiden – das ist meine Devise.
Sie wissen schon, wenn Sie auf zehn Terminen waren, kommen Sie mit Hundert Themen zurück. Und alle sagen, Herr Bunge, machen Sie mal in Berlin!
Im Frühjahr haben wir in meinem Wahlkreis 135.000 Postkarten verteilt. Bei der Aktion konnten die Menschen ihre Wünsche an den Bundestagskandidaten adressieren. Tatsächlich hatte ich die Befürchtung, dass die Leute mit tausend Erwartungen kommen. Das war nicht der Fall. Viele haben eine realistische Vorstellung davon, was ich bewirken kann. Und umgekehrt finde ich, man sollte keine überzogenen Erwartungen wecken. Sondern den Menschen sagen: Ich schaue mir das mal an. Das ist ehrlicher. Deshalb wiederholen wir die Kartenaktion, weil mir das Feedback wichtig ist.
Was sind die größten Wünsche Ihrer Wähler?
Auf Platz eins steht die Digitalisierung: Breitband-Ausbau und Mobilfunknetz. Interessanterweise schreiben mir das nicht nur Erwerbstätige aus dem Homeoffice, sondern auch Rentner, die gern mal eine Video-Konferenz mit den Enkeln machen würden. Die Infrastruktur im Lande, dazu gehören das Straßennetz und gute Bahnverbindungen, ist ebenso ein zentrales Thema.
Nennen Sie ein weiteres Sorgenkind!
Wir haben ein zu großes Lohngefälle in Deutschland. Das ist ein Problem, wenn wir über Fachkräftemangel in der Region sprechen. Bereits in den 1990ern und 2000ern war das ein Grund gewesen, warum so viele Menschen weggezogen sind. Weil sie keinen angemessen bezahlten Job gefunden haben. Mein Anliegen ist es, dass wir es schaffen, zumindest einen Teil der Menschen zurückzugewinnen. Leider hat sich wenig verbessert. Ein niedriger Lohn wirkt sich negativ aus auf die Rente und natürlich auf das Selbstwertgefühl: Wenn ich in Hamburg für den gleichen Job das Doppelte verdiene wie ich in Mecklenburg-Vorpommern, dann fühle ich mich von den Emotionen her abgehängt.
Welche Chancen bietet MV?
Wir bieten den Menschen Möglichkeiten, die interessanter sind denn je. Wir haben saubere Flüsse und Wälder. Und, wie wir während Corona gemerkt haben, das Lebensumfeld entspricht dem, was die Leute von ihrem Lebensgefühl wollen. Naturschutz. Weite. Wenig Kriminalität. Kultur. Kinder haben hier möglicherweise ein angenehmeres Umfeld zum Aufwachsen als in der Großstadt. Und die Lage zwischen Berlin, Hamburg und Ostsee macht unsere Region für viele Menschen so attraktiv.
Vielleicht als Fazit, warum stellen Sie sich zur Wahl?
Ich möchte für die Menschen in der Region etwas verändern. Deren Belange in die Bundespolitik bringen. Zudem ist es ein gutes Gefühl, wenn man eine Idee hat, etwas anschieben möchte, und irgendwann das Ergebnis sieht. Deswegen bin ich mal Ingenieur geworden, weil das eine Profession ist, wo man etwas schafft. Man baut eine Brücke, eine Maschine oder ein Haus. So ähnlich ist das auch in der Politik. Politik heißt für mich verändern, um zu erhalten. Das ist im besten Sinne konservativ. Wir müssen diese Welt für die nächsten Generationen wohnlich erhalten.
Wer ist Ihr größter Gegner bei den Wahlen?
Das Wort Gegner stört mich. Ich habe politische Mitbewerber.
Der nächste Bundeskanzler wird …
Armin Laschet.